Wie geht es Dir?
Ich denke da auf 2 unterschiedlichen Ebenen: Wie geht es mir persönlich, also in meinem Privatleben & direktem Umfeld, und wie geht es mir als Bürgerin (Meta-Ebene)?
Auf der privaten Ebene geht es mir eigentlich gut. Wenn ich aber darüber nachdenke, was es mit mir macht, was generell in der Welt passiert, dann geht es mir tatsächlich häufig nicht so gut. Anfang des Jahres (noch vor Corona) hat sich bei mir ein Jobwechsel ergeben, welcher mit einem Umzug in ein anderes EU-Land verbunden war. Solche Veränderungen / der Beginn eines neuen Lebensabschnittes, bringen einen natürlich dazu, sein Leben generell zu überdenken und zu prüfen, ob man tatsächlich die richtige Entscheidung trifft. Man fragt sich: Was schätzt man in seinem privaten Umfeld? An seinen Freunden? An der Stadt in der man lebt? Wie und wo will man generell leben? Will man in einer Großstadt leben und Karriere machen oder sind vielleicht andere Dinge und Freizeit viel wichtiger?
Dann kam Corona und ich wurde mir darüber bewusst, wie gut es mir eigentlich geht. Andere verlieren gerade ihre Jobs oder müssen in Kurzarbeit gehen und ich habe das Glück, gleich 2 Job-Möglichkeiten zu haben. Daher habe ich umgedacht und diese Möglichkeit mehr als eine positive Herausforderung gesehen und nicht als etwas Negatives, was mir Sorgen bereiten sollte.
Ich merke aber, dass sich eine gewisse Schwere bei mir eingeschlichen hat. Einerseits privilegiert und glücklich darüber zu sein, einen festen Job und Freunde zu haben, in Zeiten in denen andere Menschen oder auch Bekannte, um ihre Existenz kämpfen. Andererseits aber auch beunruhigt zu sein, was gerade in unserer Gesellschaft passiert. Und das nicht erst seit diesem Jahr und Corona. Es sind Themen wie: was passiert auf der politischen Ebene gerade, das Klimathema, wo steuern wir als Konsumgesellschaft hin! Das alles bedrückt mich immer wieder.
Welche Dinge kommen Dir da in den Sinn?
Erstes Thema ist Umwelt und Klima: ich sehe manchmal nicht, wie sich da gerade wirklich konstruktiv etwas ändern kann. So, dass der egoistische Mensch wirklich bereit ist zu handeln und dem etwas entgegenzusetzen /etwas zu bewirken. Dieses Thema frustriert mich und ich würde gerne positiver denken. Zweitens, die Sorge über die politische Polarisierung zwischen Links und Rechts. Drittens, der aufkommende Rassismus und Antisemitismus. Und und und.
Und meiner Meinung intensivieren sich viele Themen gerade durch die Pandemie noch mehr und werden von verschiedenen gesellschaftliche Gruppen besetzt und benutzt. Und ich mache mir wirklich Sorgen darüber, was das auf individueller und gesellschaftlicher Ebene auslösen wird. Und da sind wir wieder bei der Grundfrage: „Wie geht es Dir?“. Das kann ich so pauschal nicht beantworten. Da es mir wie gesagt privat gut geht, mir das was um mich rum passiert allerdings wiederum Sorge bereitet. Ich denke daher ich kann diese zwei Ebenen (PRIVAT & META) nicht voneinander trennen. Es ist wichtig auch zu beobachten, was um sich herum passiert.
Wie geht es denn deinem Umfeld, was beobachtest Du?
Ich habe hier ganz Unterschiedliches gesehen: sowohl Freunde, die sehr konstruktiv und positiv damit umgegangen sind, aber dann auch wieder Leute, die gar keine Perspektive mehr gesehen haben und umdenken bzw. sich etwas komplett Neues überlegen und auch Hilfe vom Staat beantragen mussten.
Das „nicht planen können“ macht vielen in der aktuellen Situation zu schaffen. Darüber habe ich auch viel mit meinen Freunden gesprochen. Bis dato bin ich z.B. auch noch nicht umgezogen (den neuen Job mache ich vom Home Office aus) - es war dann kurzfristig wegen der neuen Reisebeschraenkungen doch nicht möglich und sinnvoll. Man kann einfach nichts planen. Keine Reisen, keine Kurztrips etc. Das fällt mir schwer.
Es gab in meiner Stadt ein paar schöne lokale Initiativen, die versucht haben Aufmerksamkeit zu erregen (z.B. wie können wir Cafés unterstützen z.B. durch den Online-Kauf von Kuchen, oder Initiativen, die für Pflegekräfte und Krankenhäuser Spenden eingeholt haben) - das gibt mir tatsächlich auch das Gefühl, sofort helfen zu wollen und bei den Initiativen mitzumachen. Vor allem auch weil ich durch Corona keinerlei Einbußen meines Gehalts hatte - im Gegenteil. Ich habe eher weniger ausgegeben, da man nicht mehr ausgegangen ist. Daher habe ich versucht, z.B. auch Restaurants zu unterstützen, indem ich mal mehr „To Go“ Essen bestellt habe, oder auch Freunde, die Crowdfunding Projekte ins Leben gerufen haben, um ihnen finanziell zu helfen.
Worüber sprichst Du mit Deinen Freunden?
Alles mögliche. Es geht oft um Identitätsfragen zwischen Ost-DE und West-DE, Korruption, Rassismus und was kann man dem entgegen setzten, Klima ist ein großes Thema, Liebe und das Generelle: wie möchte man leben und wie kann man gesellschaftliche Prozesse umstellen? Aber es gibt auch Freunde, mit denen ich keine Lust habe, über solche Themen zu sprechen und mit denen ich dann eher Erlebnisse kreiere und in der Hängematte imGarten liege und über die schönen Dinge des Moments nachdenke. Das ist mir gerade für mein Wellbeing extrem wichtig, einfach auch mal rauszukommen und im Moment zu sein, über nichts nachdenken zu müssen.
Es gibt einfach mittlerweile so viele Themen mit denen man sich konfrontiert sieht und die einen hilflos gegenüber politischen und ökonomischen Strukturen fühlen lassen. Ich weiss manchmal nicht, wie man sich als Individuum verhalten kann oder reagieren soll. Denn nur weil man es selbst versucht richtig zu machen, heisst es ja nicht, dass es alle anderen richtig machen, ich möchte also nicht selbstgerecht sein. Dann heisst es „man kann nur bei sich anfangen…“, bottom-up, aber dieses Gefühl, es nicht unter Kontrolle zu haben und als Einzelner im System nicht wirklich was bewirken zu können, enttäuscht und macht mich hilflos. Manchmal will man vielleicht einfach auch gar nicht mehr wissen, was alles so schief läuft… Man muss wohl für sein WELLBEING ab und zu auch mal Sachen ausblenden. Wir sind privilegiert, das überhaupt zu können in unserer Lebensrealität und uns auch nicht die ganze Zeit über mit diesen Dingen beschäftigen zu MÜSSEN.
Komplette Verdrängung ist aber nicht die Lösung. Das können wir uns gar nicht leisten. Und es ist auch nicht alles schlecht. Es gibt immer wieder Menschen, die auch wirklich etwas verändern wollen und mit positivem Beispiel voran gehen. Es ist wichtig das auch sichtbar zu machen, diesen Beispielen zu folgen und eine Plattform zu geben, um neue, interdisziplinäre Ansätze zu finden.