Patchworking in Zeiten von Lockdown: Alternative Familienmodelle müssen sichtbarer werden

In diesem Text möchte ich auf die besonderen Herausforderungen des Lockdowns für eine Form des Familienlebens aufmerksam machen, die sowieso immer kompliziert, aber in Zeiten von Lockdown eine bisher unbekannte Dimension der Komplexität erreicht hat: die Patchwork-Familie.

Meine Perspektive

Ich teile diese Gedanken aus der Perspektive einer jungen, reiselustigen Berufstätigen, die im Rahmen des Lockdowns innerhalb von kürzester Zeit zu irgendetwas zwischen Zweitmama und Babysitter mutiert ist. Zur Erklärung: Im März 2020 plante ich, etwa zwei Wochen bei und mit meinem Partner, der sich das Sorgerecht für seinen Sohn im Kindergartenalter teilt, in einer osteuropäischen Großstadt zu verbringen. Letztendlich fielen alle meine geplanten beruflichen Projekte an anderen Orten flach, schlossen die Grenzen, und ich blieb acht Monate bei meinem Partner. Wir verbrachten den Lockdown großenteils zu dritt in einer Zwei-Zimmerwohnung in der Großstadt, darunter: ein Kindergartenkind ohne Kindergarten, ein Vollzeitjob (ich), eine auf Eis gelegte Künstler-Karriere (mein Partner), ein Skype-intensiver Nebenjob (mein Partner), drei verschiedene Muttersprachen, eine Verkehrssprache und viel Unsicherheit.

Organisation, Transport, Sicherheit

Zu den üblichen Problemen, die alle Familien im Lockdown betreffen (Stichwort Kinderbetreuung, Homeschooling, usw.), kam bei uns die besondere Herausforderung in Sachen Ort dazu: Die Frage war nicht nur, wer wann das Kind betreut, sondern auch wo, und wie man unter den Bedingungen von Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen von A nach B gelangt. Wie wir wissen, hat die Pandemie die Kategorie Geographie sowohl zunichte gemacht (Stichwort Zoom-Meetings) als auch über alles andere erhoben: Wer nicht nah an Familie und Freund:innen lebt, muss über Wochen und Monate ohne diese Menschen auskommen. Eine Oma, die zwar die Zeit hat, aber Hunderte Kilometer entfernt wohnt, kann einer jungen Familie deshalb nur schwierig weiterhelfen.

Oft ließ die gesetzliche und Informationslage für Patchwork-Familien viel zu wünschen übrig. Die Frage nach dem Transport in Zeiten von Ausgangssperren war dabei besonders kompliziert: Die gesetzliche Lage war oft undurchsichtig, inwieweit Ausnahmen zu den Ausgangssperren für Patchwork-Familien existierten. Man kann nun einmal nicht sein Sorgerecht (und –pflicht) via Zoom ausführen. Genauso bzgl. Kontaktbeschränkungen: Als Patchwork-Familie mit einem Kindergartenkind kann man gewisse „zusätzliche“ Kontakte neben der Kernfamilie kaum vermeiden. Daraus resultiert ein erhöhtes Maß an Unsicherheit bzgl. der eigenen Gesundheit sowie der Gesundheit anderer, da sich die Wahrscheinlichkeit für direkte und/oder Kontakte mit dem Coronavirus exponentiell erhöht – selbst wenn alle Beteiligten sich an die Kontaktbeschränkungen halten.

Nach Corona

Aufgrund meiner Erfahrung als Teil einer Patchwork-Familie während des Lockdowns wünsche ich mir langfristige Verbesserungen für die Stellung alternativer Familienmodelle in unserer Gesellschaft. Das – patriarchal geprägte – Ideal der Kernfamilie aus Vater, Mutter, Kind prägt noch immer stark die Familienpolitik, obgleich die Lebenswirklichkeit für viele Familien anders aussieht. Meiner Meinung nach hat sich dieses traditionelle Modell der Kernfamilie überlebt. Auch diskriminiert es letztendlich alle, die nicht diesem Ideal entsprechen. Alternative Familienmodelle müssen im öffentlichen Leben mehr berücksichtigt und wertgeschätzt werden. Familien mit gleichgeschlechtlichen oder non-binären Partner:innen sowie Alleinerziehende sind in dieser Forderung natürlich miteingeschlossen.

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Hi @Biene, vielen Dank für deinen Beitrag - ein sehr guter Punkt!

Ich denke, dass auf jeden Fall es in der Gesellschaft diese Norm der Kernfamilie gibt - und natürlich sollten alle Familienmodelle wertgeschätzt werden. Hättest Du denn weitere Beispiele von Diskriminierung von alternativen Familienmodellen die verbessert werden müssen?